
Brauchen wir wirklich Nachhaltigkeitszertifikate in einer von Greenwashing geprägten Modewelt?
Nachhaltigkeitszertifikate wie GOTS, OEKO-TEX® und Bluesign® sollen Transparenz in die Modebranche bringen. Doch in einer von Greenwashing übersättigten Welt stellt sich die Frage: Wie wichtig sind diese Labels wirklich – und welche machen tatsächlich einen Unterschied?
Der Aufstieg der Nachhaltigkeitszertifikate
In der heutigen Modewelt — wo fast jede Marke behauptet, „umweltfreundlich“ oder „verantwortungsvoll“ zu sein — sind Zertifizierungen zu einem Schlüsselinstrument geworden, um echtes Engagement von leerem Marketing zu trennen. Doch garantieren sie tatsächlich Nachhaltigkeit, oder sind sie im Zeitalter des Greenwashings zu einem weiteren Marketing-Werkzeug geworden?
Nachhaltigkeitsstandards und -zertifizierungen sind freiwillige Leitlinien, mit denen das Engagement für gute ökologische, soziale, ethische und lebensmittelsicherheitsrelevante Praktiken belegt wird. Weltweit gibt es mehr als 400 solcher Standards. Der Trend begann in den späten 1980er- und 1990er-Jahren mit der Einführung von Umweltzeichen und Standards für Bio-Lebensmittel und andere Produkte. In der Mode reicht die Geschichte nachhaltiger Zertifizierungen in die 1990er zurück, als die wachsende öffentliche Sorge über Chemikalieneinsatz in Textilien, schlechte Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung den Ruf nach verlässlichen Prüfmechanismen laut werden ließ. Anfang der 2000er entwickelten unabhängige Organisationen Standards, um sicherzustellen, dass Stoffe, Prozesse und Lieferketten messbaren ökologischen und ethischen Kriterien entsprechen.
Laut Textile Exchange wuchs die Zahl der nach Standards wie GOTS und dem Organic Content Standard (OCS) zertifizierten Betriebe allein 2020 um mehr als 34 % — ein deutliches Zeichen für die exponentiell steigende Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten nach Transparenz und Rechenschaft. Ein Bericht von McKinsey zeigt zudem, dass 67 % der Verbraucherinnen und Verbraucher nachhaltige Materialien inzwischen als wichtigen Faktor bei ihrer Kaufentscheidung betrachten. Zertifizierungen dienen daher sowohl als Vertrauenszeichen für Käuferinnen und Käufer als auch als Instrument für Marken, sich in einem überfüllten Markt zu differenzieren.
Warum sind Zertifizierungen nötig
In einer Greenwashing-Welt sind Nachhaltigkeitsaussagen oft vage, nicht verifizierbar oder übertrieben. Zertifizierungen versuchen, dies zu lösen, indem sie bieten:
- Glaubwürdigkeit — unabhängige Prüfungen durch Dritte verringern das Risiko falscher Behauptungen.
- Transparenz — Zertifizierungen erfordern häufig Lieferketten-Mapping und Rückverfolgbarkeit.
- Stärkung der Käuferinnen und Käufer — klare Kennzeichnung hilft, informierte Entscheidungen zu treffen.
- Branchenangleichung — Standards schaffen Benchmarks, an denen Unternehmen ihre Praktiken verbessern können.
Trotzdem sind nicht alle Zertifizierungen gleich. Einige konzentrieren sich auf das Produkt, andere auf den Prozess, wieder andere gehen über Umweltaspekte hinaus und beziehen soziale Verantwortung ein. Die Herausforderung für Konsumentinnen und Konsumenten besteht darin, zu erkennen, welche Siegel tatsächlich Gewicht haben.
Die am häufigsten genutzten eco-responsiblen Zertifizierungen in der Mode
Im Folgenden finden Sie einen Leitfaden zu einigen der bekanntesten Zertifizierungen, Programme und Technologien, die die Modebranche heute prägen.
OEKO-TEX® ist eine internationale Zertifizierung, die garantiert, dass Textilien und verwandte Produkte geprüft wurden und frei von Schadstoffen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sind. Das Label umfasst auch Rückverfolgbarkeit, sodass Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen können, wo und wie jedes Teil produziert wurde.
TÜV ist eine Zertifizierung, die von der deutschen Organisation Technischer Überwachungsverein vergeben wird. Sie stellt sicher, dass Prozesse und Produkte strengen Qualitäts- und Sicherheitsvorschriften entsprechen. Zudem fördert sie den effizienten Einsatz von Ressourcen und Technologien, die Emissionen, Abfälle und Energieverbrauch während der Herstellung minimieren; und sie garantiert, dass zertifizierte Unternehmen Standards einhalten, die die Rechte der Arbeitnehmenden respektieren.
GOTS (Global Organic Textile Standard) ist der weltweit führende Standard, der sicherstellt, dass Produkte aus mindestens 70 % Biofasern bestehen und dass alle Prozesse — von der Ernte der Rohstoffe bis zur Endkennzeichnung — strengen ökologischen und sozialen Kriterien entsprechen. Die GOTS-Zertifizierung verbietet den Einsatz chemischer Pestizide und Düngemittel; regelt den Einsatz von Wasser, Energie und Chemikalien bei der Verarbeitung; fordert die Einhaltung internationaler Arbeitsstandards wie faire Löhne, Arbeitssicherheit sowie das Verbot von Kinder- oder Zwangsarbeit; und gewährleistet vollständige Rückverfolgbarkeit des Produkts.
Die Leather Working Group (LWG) ist ein globaler Standard, der verantwortungsvolle Praktiken zur Minimierung von Ressourcenverbrauch, Emissionen und Abfällen bei der Ledergerbung fördert. Sie garantiert den sicheren Umgang mit Chemikalien, reduziert Umweltverschmutzung und schützt sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Beschäftigten. Außerdem sorgt sie für Transparenz hinsichtlich der Herkunft des Leders.
Bluesign® ist eine internationale Zertifizierung, die Sicherheit, Nachhaltigkeit und Effizienz in der Textilproduktion gewährleistet. Sie konzentriert sich darauf, Umweltauswirkungen zu minimieren, den Ressourceneinsatz zu optimieren und die Gesundheit der Arbeitnehmenden und Verbraucherinnen zu schützen. Im Gegensatz zu OEKO-TEX, das nur das Endprodukt zertifiziert, bewertet Bluesign® den gesamten Produktionsprozess und stellt so Nachhaltigkeit vom Rohstoff bis zum fertigen Kleidungsstück sicher.
Woolmark ist das führende Zertifizierungslabel in der Wollindustrie, weltweit anerkannt als Symbol für Qualität, Authentizität und Nachhaltigkeit. Es garantiert, dass gekennzeichnete Produkte höchste Standards in Reinheit, Leistung und verantwortungsvoller Wollproduktion erfüllen.
Das Label Mulesing-Free garantiert, dass die in einem Produkt verwendete Wolle von Schafen stammt, die nicht dem schmerzhaften Mulesing-Verfahren unterzogen wurden, das in einigen Schafzuchtbetrieben zur Vorbeugung parasitärer Infektionen angewandt wird.
Der Global Recycled Standard (GRS) ist eine internationale Zertifizierung, die sicherstellt, dass ein Produkt nachweislich recycelte Materialien enthält und unter verantwortungsvollen ökologischen und sozialen Kriterien hergestellt wurde.
OCS (Organic Content Standard) ist ein globales Zertifikat, das den Anteil an Bio-Material in einem Textilprodukt überprüft und den Fluss dieses Materials von seiner Herkunft bis zum Endprodukt nachverfolgt. Es bewertet jedoch keine sozialen oder ökologischen Kriterien über den Bio-Gehalt hinaus — das heißt, es reguliert weder den Einsatz von Chemikalien noch die Arbeitsbedingungen bei der Produktion.
Das Label Eco Cycle Recycle kennzeichnet Produkte, die den Einsatz von vorverbraucher-recycelten Fasern optimieren, indem Abfälle aus dem Produktionsprozess wiederverwendet werden. Dieser Ansatz fördert eine Kreislaufwirtschaft, indem Restmaterialien in die Produktionskette zurückgeführt, Abfälle reduziert und nachhaltigere Praktiken in der Textilindustrie unterstützt werden.
VeganOK ist eine in Europa anerkannte Zertifizierung, die garantiert, dass ein Produkt zu 100 % vegan ist — das heißt frei von tierischen Inhaltsstoffen und nicht an Tieren getestet. Sie fördert zudem ethische und nachhaltige Praktiken, indem sichergestellt wird, dass Produkte verantwortungsvollen Herstellungsstandards entsprechen. Diese Zertifizierung wird in den Bereichen Lebensmittel, Kosmetik, Textilien und anderen Industrien verwendet und hilft Verbraucherinnen und Verbrauchern, Optionen zu identifizieren, die mit einem veganen und umweltbewussten Lebensstil im Einklang stehen.

ANDERE WICHTIGE REGELUNGEN, PROGRAMME UND NACHHALTIGE TECHNOLOGIEN
REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) ist eine Verordnung der Europäischen Union, die die Kontrolle und Sicherheit chemischer Substanzen gewährleistet. Ihr Ziel ist es, die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen, indem der verantwortungsvolle Einsatz von Chemikalien in der Produktfertigung gefördert und sicherere, nachhaltigere Alternativen unterstützt werden.
Die Better Cotton Initiative (BCI) ist ein globales Programm zur Förderung einer nachhaltigen Baumwollproduktion, das bessere ökologische, soziale und wirtschaftliche Bedingungen beim Anbau sicherstellt. Ziel ist es, die Auswirkungen von Baumwolle auf den Planeten zu reduzieren, indem der Wasserverbrauch optimiert, der Einsatz von Pestiziden begrenzt und die Bodenqualität verbessert wird, während gleichzeitig die Rechte der Landwirtinnen und Landwirte geschützt werden. BCI zertifiziert keine Endprodukte; vielmehr treibt es eine verantwortungsvollere Lieferkette voran und unterstützt so eine ethischere und nachhaltigere Textilindustrie.
Eco-Wash-Technologie ist ein innovatives Verfahren zur Behandlung von Kleidungsstücken, das im Vergleich zu traditionellen Methoden weniger Wasser, Energie und Chemikalien benötigt. Dieser Ansatz verringert die Umweltauswirkungen erheblich, indem Emissionen und der Verbrauch natürlicher Ressourcen minimiert werden. Dabei kommen moderne Verfahren wie Ozon- oder Vernebelungstechniken zum Einsatz, die den Wasserverbrauch drastisch senken. Scharfe Chemikalien werden durch biologisch abbaubare und weniger toxische Alternativen ersetzt, was sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Arbeitenden schützt. Zusätzlich wird energieeffiziente Maschinen-Technologie eingesetzt, die weniger Strom verbraucht, CO₂-Emissionen reduziert und so zu einem kleineren ökologischen Fußabdruck beiträgt.

Lösen Zertifizierungen wirklich alle Probleme?
Während Nachhaltigkeitszertifizierungen Vertrauen und Orientierung bieten, sind sie kein Allheilmittel. Viele erfordern kostspielige Audits und sind damit für kleine Marken kaum zugänglich. Andere stehen in der Kritik wegen inkonsequenter Durchsetzung oder eines zu begrenzten Anwendungsbereichs. Dennoch gilt: In einer Modewelt, die im Greenwashing zu ertrinken droht, bleiben Zertifizierungen eines der verlässlichsten Instrumente für Rechenschaftspflicht. Für Konsumentinnen und Konsumenten sind sie ein Kompass, für Marken eine Verantwortung.
Vielleicht ist die eigentliche Frage also nicht, ob wir Zertifizierungen brauchen, sondern wie wir sicherstellen können, dass sie streng, transparent und zugänglich bleiben — damit Nachhaltigkeit in der Mode mehr wird als nur ein weiteres Marketingversprechen.
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@ Chase Yi via Unsplash