„Couturissme“ von Thierry Mugler: die Beziehung zwischen Mode, Menschen und Natur
„La Chimère“, eines der teuersten Haute Couture Kleider der Modegeschichte, funkelt in allen Farben des Regenbogens: Mit seinen unzähligen bunten Perlen, Federn, Schuppen, Echthaaren und einem goldenen Korsett, wirkt es wie das Kleid einer beflügelten Meerjungfrau.
Die aufwendig hergestellte Kreation des Designers Thierry Mugler ist Teil der Retrospektive „Thierry Mugler: Couturissme“, die derzeit in der Rotterdammer Kunsthal zu sehen ist. Die Ausstellung, die wie eine Oper in sechs Akten konzipiert ist, wirft einen Blick auf die Fantasie und Vorstellungskraft des französischen Designers, mit der er seit den 80ern die Modewelt revolutioniert hat.
Neben „La Chimère“ sind hier insgesamt etwa 150 weitere ikonische Outfits sowie Accessoires, Theaterkostüme, Videos, Fotos und Skizzen Muglers ausgestellt. Sein Werk inspiriert dazu, die Beziehung zwischen Mode, Mensch und Natur zu reflektieren.
Metamorphose von Mensch und Natur
Halb Mensch, halb Fisch, halb Insekt, halb Cyborg: Thierry Mugler ist seit jeher bekannt für seine extravagante Metamorphose von Formen, Materialien und Rollenbildern. Der avantagardistische Couturist lässt die Trägerinnen seiner Kleider wie mystische Hybridwesen erscheinen. Er selbst bezieht seine Inspiration vom „most beautiful animal on Earth: the human being.“ (Manfred Thierry Mugler) Entgegen der üblichen dichotomischen Denkweise trennt Mugler somit nicht zwischen Mensch und Tier: Sie sind für ihn eins. Diese Philosophie wird in vielen seiner Kreationen deutlich. Hier verschmelzen Träger, Kleidung, Natur, Material und Tier. So zum Beispiel in seiner SS 1997 Kollektion „Les Insectes“, in der der Designer Frauen mit Insekten fusioniert. Die Kleider der Kollektion sind mit Fühlern, Schmetterlingsflügeln und schwarzen Gläsern, die an Insektenaugen erinnern, versehen.
Thierry Mugler schreckt dabei nicht vor dem Einsatz ungewöhnlicher Materialien zurück. Neben Tierhaaren wie in „La Chimère“, integriert er unter andem auch Chrom-Autoteile, LED, Glas und Latex in seine Haute Couture. Die Produktion und Verwendung dieser tierischen und künstlichen Materialien entsprechen sicherlich nicht vollständig unserem heutigen Verständnis von ökologischer Nachhaltigkeit.
Mode nimmt von der Natur und erschafft neue Fomen
Dennoch inspiriert „Thierry Mugler: Couturissme“ dazu, die Beziehung zwischen Mensch, Natur und Kleidung zu reflektieren. Die Ausstellung betont den ideellen, kreativen und materiellen Wert von Kleidung und erinnert an eine Zeit vor Fast Fashion, als Mode noch nicht als Wegwerfartikel galt und Materialien noch nicht als ersetzbar angesehen wurden. Vielmehr macht sie deutlich: Mode ist die Verkörperung jemandes Fantasie, das Ergebnis aufwendiger Vorstellungs- und Herstellungskraft und die Arrangierung wertvoller Materalien und begrenzter Resourcen. Mode nimmt von der Natur und erschafft dadurch neue Formen.
Über Thierry Mugler
Im Laufe seiner Karriere hat Thierry Mugler häufig mit bekannten Filmemachern, Architekten, Fotografen und Künstlern wie Helmut Newton, Andrée Putman und Dominique Issermann zusammengearbeitet. Er selbst führte die Regie verschiedener Kurzfilme und Musikvideos, wie beispielsweise zu George Michael’s „Too Funky“. Neben seiner eigenen Haute Couture kreierte Mugler Theater-und Zirkuskostüme, unter anderem für die Aufführung von Shakespeare’s Macbeth im Théâtre-Français und Festival d’Avignon, und kleidete Stars wie David Bowie, Lady Gaga und Céline Dion. Dank seiner theatralischen Designs gilt Mugler als einer der bedeutensten Avantgarde-Designer unserer Zeit. Doch radikale Veränderungen und Neuheit in der Mode sind seit jeher beschränkt durch den menschlichen Körper, Materialien, Technologie und Moralvorstellungen. Mit der stetigen Beschleunigung der globalen Modeindustrie kamen weitere Faktoren erschwerend dazu: „money, marketing and the crazy rhythm of the collections” (Manfred Thierry Mugler) – und so beendete der Designer im Jahr 2001 seine Karriere.
Die Ausstellung „Thierry Mugler: Couturissme“ ist noch bis zum 8. März 2020 in der Kunsthal Rotterdam zu sehen.