Daniel Steegmann Mangrané: Ein blattförmiges Tier zeichnet die Hand

 

 

Die Kunstprojekte sind immer eng mit der Architektur des Gebäudes verbunden. So hat Daniel Steegmann Mangrané die architektonischen Merkmale des Pirelli Hangar Bicocca aufgegriffen, als er mit seiner Ausstellung 'Ein blattförmiges Tier zeichnet die Hand' einzog.

 
 

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Eine große, lichtdurchflutete Halle. Hohe Decken, weiße Wände, kalter Beton, freiliegende Rohre und Metallstrukturen. Wir befinden uns im Pirelli Hangar Bicocca, einem Institut für zeitgenössische Kunst in Mailand. Das Gebäude war früher eine Lokomotivfabrik, und der industrielle Charakter ist bis heute erhalten geblieben. Doch statt Lokomotiven werden auf den fast 15.000m² nun Kunstwerke von italienischen und internationalen Künstlern produziert und ausgestellt. Die Kunstprojekte stehen immer in engem Zusammenhang mit der Architektur des Gebäudes. So hat sich Daniel Steegmann Mangrané (* 1977, Barcelona) die architektonischen Gegebenheiten des Pirelli Hangar Bicocca zu eigen gemacht, als er im September 2019 mit seiner Ausstellung Ein blattförmiges Tier zeichnet die Hand einzog und die Fassade des Komplexes kurzerhand verändern ließ. Normalerweise gibt es hier kein natürliches Tageslicht. Doch das ist für die Arbeit des spanischen Künstlers von besonderer Bedeutung. Er interessiert sich für die Entstehung und Bewegung von Formen jenseits der üblichen Trennung von Natur und Kultur und schafft Werke, die die Grenzen zwischen organischer und künstlicher Ästhetik aufbrechen.

 
 
 
 

Steegmann Mangrané trennt Natur und Kultur nicht, er bringt sie zusammen. "So wie es keinen Verstand ohne Körper gibt, gibt es keine Kultur ohne Natur", erklärt er in einem Interview mit Artribune. So erschien es ihm als erster logischer Schritt, die Fassaden des Instituts zu trennen und Fenster einzusetzen. "Ich wusste vom ersten Moment an, dass ich sie öffnen, natürliches Licht hereinlassen und innen und außen miteinander verbinden würde, um zu ermöglichen, dass Wetterveränderungen und die Bewegung der Sonne die Ausstellung verändern."

Das natürliche Licht zeigte sofort seine Wirkung: Es gab der sonst brutalistischen Architektur des Hangar Bicocca eine weichere, sanftere Atmosphäre. Unterstrichen wurde dies durch die etwa drei Meter hohen textilen Trennwände, die Steegmann Mangranés im Inneren der Halle aufstellte, um der großen Fläche mehr Struktur zu geben. Die weißen, halbtransparenten Wände führten den Besucher sanft durch die Ausstellung, ohne ihm einen festen Weg oder eine Richtung vorzugeben. Wie Membranen verdeckten und enthüllten sie gleichzeitig die umliegenden Kunstwerke und Besucher.

 
 
 
 
 
 

EIN STÜCK BRASILIANISCHER REGENWALD IN MAILAND

Die Ausstellung Ein blattförmiges Tier zeichnet die Hand, die von September 2019 bis Januar 2020 in Mailand gezeigt wurde und von Lucia Aspesi und Fiammetta Griccioli kuratiert wurde, präsentierte mehr als 20 Werke des spanischen Künstlers - darunter Filme, 2D-Hologramme, Skulpturen, Installationen und Virtual Reality Geräte. Der Schwerpunkt der Ausstellung lag auf der Schaffung einer intimen sinnlichen Begegnung zwischen den Besuchern und der Natur.

Zu diesem Zweck brachte Steegmann Mangrané ein Stück brasilianischen Regenwaldes mit seinen pflanzlichen und tierischen Bestandteilen nach Mailand. Schon als Kind wollte der Künstler, der seit 2004 in Brasilien arbeitet, Biologe oder Botaniker werden. Seitdem ist er fasziniert vom Regenwald und seiner Artenvielfalt. Mit seiner Ausstellung reflektierte er über die Verletzlichkeit und das mögliche Verschwinden dieser Natur. Das lebendigste Exponat war wohl Ein transparentes Blatt anstelle des Mundes (2016-17), ein großes Vivarium, das von verschiedenen exotischen Heuschrecken, Bäumen und Sträuchern bewohnt wurde, darunter Farn, Eiche und Buche. Es lud dazu ein, die mimetischen Fähigkeiten der Heuschrecken zu beobachten, die sich zwischen Ästen und Blättern tarnten und so scheinbar eins mit ihrer Umgebung wurden.

Wie das Leben im Regenwald vielleicht aussehen könnte, verdeutlichte die Virtual-Reality-Installation Phantom (Königreich aller Tiere und aller Bestien ist mein Name) (2015), die den Besucher in einer virtuellen Schwarz-Weiß-Darstellung des Regenwaldes versetzt. Steegmann Mangrané schuf damit ein Paradoxon zwischen der Präsenz des eigenen Körpers im realen Raum und seiner Bewegung im virtuellen Raum: "Ich versuche immer, den Moment zu erreichen, in dem der Betrachter nicht auf das Kunstwerk schaut, sondern auf seine eigene Erfahrung."

 
 
 
 
 

 

Wie fühlt es sich an, wenn sich der eigene Körper in Mailand befindet und sich gleichzeitig durch den brasilianischen Regenwald zu bewegen scheint? Wie verändert diese Erfahrung die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Raum?

 
 
 
 

 

AUFHEBUNG DER DICHOTOMIE NATUR/KULTUR

Steegmann Mangrané verändert mit seinen Werken Perspektiven. Er hinterfragt die Dichotomien zwischen Mensch und Umwelt, zwischen Kultur und Natur, die normalerweise unser Denken prägen. Und mehr noch: Er lässt uns die Verbindung zwischen dem Menschen und seiner Umgebung spüren. Zu diesem Zweck lässt er Tageslicht in die Hangars des Hangar Bicocca und stellt transparente Wände auf, hinter denen wir die Anwesenheit anderer Besucher und Objekte erahnen können. Er zeigt uns, wie Heuschrecken durch Tarnung mit ihrer Umgebung verschmelzen, und versetzt uns durch virtuelle Realität in zwei Welten gleichzeitig. Die Ausstellung in Mailand machte deutlich, dass die Menschen nicht getrennt voneinander existieren, sondern in einer ständigen wechselseitigen Beziehung zu ihrer organischen und künstlichen Umgebung stehen. Alles, was wir tun, beeinflusst die Natur und umgekehrt. "Wenn man etwas besitzt, besitzt dieses Etwas auch einen selbst. Wenn du eine Ausstellung machst, macht dich diese Ausstellung zurück. Selbst wenn du ein Insekt zeichnest, zeichnet dich dieses Insekt irgendwie zurück", erklärt der Künstler.

Seine Gedanken spiegeln wider, was Ökologen schon immer untersucht haben: die gegenseitigen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen lebenden Organismen, einschließlich des Menschen, und ihrer physischen Umgebung. Ökologen versuchen, die systemischen Verbindungen zwischen Pflanzen, Tieren und der sie umgebenden Welt zu verstehen und die Vorteile funktionierender Ökosysteme zu erklären. Seine Arbeit lehrt uns, wie wir mit unserer Umgebung interagieren können, um künftigen Generationen ein gesundes Leben auf der Erde zu ermöglichen. Ein ökologisches Verständnis der Welt fördert somit unser Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Wie könnte es anders sein? Wer einmal die wechselseitige Verbindung zwischen Mensch und Natur erkannt hat, für den ist es selbstverständlich, der Natur und den Mitmenschen mit Respekt und Verantwortung zu begegnen. Schließlich fällt alles, was wir tun, auf uns zurück. Ein blattförmiges Tier zeichnet die Hand ist eine Erinnerung an diese Vernetzung von Mensch und Natur. Wie es scheint, will Steegmann Mangrané unser Verhältnis zur Natur nachhaltig verändern:

 
 

"Wichtig ist nicht, was hier im Hangar Bicocca passiert, sondern wie man der Realität wieder begegnet, wenn man geht." Für den Künstler "kann ein Museum (...) nicht länger ein Ort sein, der von seiner Umgebung isoliert ist und in dem Artefakte unter optimalen Bedingungen präsentiert werden, sondern es sollte ein Ort sein, an dem es möglich ist, unsere Beziehung zur Realität neu zu verhandeln und neu zu gestalten. "

 
 
 
 
 
 
 
*Dieser Artikel wurde in der gedruckten Ausgabe von Luxiders #4 veröffentlicht.  Kaufe das Magazin hier.
 

+ Words:  Lena Bäunker

After living in Hamburg, Shanghai, Groningen and Milan, now Lena works and studies in Rotterdam. Lena is committed to Fashion Revolution, helping sustainable brands tell their stories, and writing about the interfaces between sustainability, art, culture and business.

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