Iris Van Herpen in Rotterdam: Eine Retrospektive die Körper und Zukunft neu imaginiert
Am 27. September öffnete die Kunsthal Rotterdam die Türen ihres größten Ausstellungsraums, HALL 2, für eine der visionärsten Designerinnen des 21. Jahrhunderts: Iris Van Herpen. Mit „Sculpting the Senses“ präsentiert die niederländische Institution eine erweiterte und erneuerte Version der großen Retrospektive, die 2023–2024 erstmals im Musée des Arts Décoratifs in Paris zu sehen war. Als sinnliche Reise konzipiert, lädt die Ausstellung die Besucher in Van Herpens Universum ein. Einen Raum, in dem Mode, Wissenschaft, bildende Kunst und Technologie ineinanderfließen, bis ihre Grenzen sich auflösen.
Nur wenige Designerinnen ihrer Generation haben die Sprache der Haute Couture so radikal neu erfunden wie Van Herpen. Ihre Praxis, die zwischen präziser Handwerkskunst und wissenschaftlich-technologischer Experimentation oszilliert, erweitert fortlaufend die Definition dessen, was ein Körper sein kann und wie er Raum bewohnen darf. In Rotterdam werden mehr als einhundert ikonische Kreationen aus ihren bedeutendsten Kollektionen gezeigt – flankiert von Werken zeitgenössischer Künstler wie Philip Beesley, Collectif Mé, Kohei Nawa, Kate MccGwire, Damien Jalet und Rogan Brown sowie Designobjekten von Neri Oxman, Ren Ri und Ferruccio Laviani. Zusammen formen diese Dialoge eine ästhetische und konzeptionelle Konstellation, die die ganze Bandbreite ihres schöpferischen Denkens offenlegt.
Die Retrospektive entfaltet sich in neun thematischen Sektionen, die als Zugänge zu ihrer Imagination fungieren. Themen, die von Wasser und den Ursprüngen des Lebens über Synästhesie und mythologische Angst bis hin zu den hybriden Zukünften des menschlichen Körpers reichen. In der Kunsthal Rotterdam wird die Szenografie dank eines an die Dimensionen des Hauses angepassten Raumkonzepts noch immersiver, begleitet von Salvador Breeds multisensorischem Soundtrack, der die atmosphärischen Qualitäten der Ausstellung intensiviert. Dies ist nicht einfach eine Ausstellung von Kleidern, sondern ein Durchschreiten von Räumen, Materialschichten, hypothetischen Organismen und Strukturen, die beinahe lebendig erscheinen.







Die Natur bleibt ein zentrales Leitmotiv der Ausstellung. Van Herpen nähert sich Wasser, Luft, marinen Ökosystemen und geologischen Formationen als Sprachen, die die Form des Kleidungsstücks erweitern können. Das gefeierte Crystallization-Top, ihr erstes 3D-gedrucktes Werk, das in Zusammenarbeit mit dem Architekten Daniel Widrig entstand, erscheint hier erneut als Erinnerung an den Moment, in dem ihre Arbeit sich dem Digitalen zuwandte, ohne die handwerkliche Geste aufzugeben. In Kollektionen wie Sensory Seas evozieren transluzente Faltungen Tiefseeorganismen und Nervensysteme; in Earth Rise arbeitet sie mit recycelten Materialien wie Parley Ocean Plastic und verbindet formale Innovation mit ökologischem Engagement.
Auch unsichtbare Welten werden sichtbar. Myzeliale Netzwerke, anatomische Strukturen, fantastische Skelette und gotische Architekturen, neu imaginiert als poröse Körper. Stücke wie das Henosis Dress oder das Cathedral Dress offenbaren, was gewöhnlich unter der Haut oder unter der Erde verborgen bleibt. Van Herpen verwandelt diese natürlichen, architektonischen und inneren Geometrien in tragbare Oberflächen, die im Bewegungsspiel vibrieren.
Die Ausstellung widmet zudem einen bedeutenden Abschnitt der Mythologie. Sie verfolgt Anspielungen von Ovid bis zur japanischen Ikonografie und erkundet Angst und Hybridisierung. Fäden, die sich bis zu dem frühen Einfluss von Hieronymus Bosch auf die Vorstellungskraft der Designerin zurückverfolgen lassen. Das Übernatürliche wird zu einem fruchtbaren Terrain, um die Grenze zwischen Mensch und Nicht-Mensch, Organischem und Artifiziellem zu hinterfragen.
Die Natur bleibt ein zentrales Leitmotiv der Ausstellung. Van Herpen nähert sich Wasser, Luft, marinen Ökosystemen und geologischen Formationen als Sprachen, die die Form des Kleidungsstücks zu erweitern vermögen.




Die Ausstellung kulminiert in einem Blick ins Kosmos. Nebelstrukturen, die traumgleichen Bildwelten Kim Keevers und im Raum schwebende Silhouetten schaffen ein ätherisches, beinahe astronomisches Finale. Hier scheinen die Kleidungsstücke zu schweben, vom Körper gelöst, zu Konstellationen transformiert. Es ist eine Einladung, Mode als ein Feld zu begreifen, auf dem sich über Existenz, Zeit und Wahrnehmung nachdenken lässt.
Begleitend zu den Hauptwerken umfasst die Ausstellung ein Kuriositätenkabinett und eine Nachbildung von Van Herpens Amsterdamer Atelier vollständig mit Hunderten von Materialproben, Experimenten und Prototypen. Dieser intime Einblick hinter die Kulissen offenbart eine Praxis, in der technische Präzision und spekulative Vorstellungskraft im Gleichgewicht koexistieren.


Organisiert in Zusammenarbeit mit dem Musée des Arts Décoratifs in Paris und Maison Iris van Herpen und eigens für die Kunsthal adaptiert, ist diese Ausstellung mehr als eine Retrospektive – Sculpting the Senses ist ein Manifest. Van Herpen begreift Mode als eine erweiterte Form von Wissen, als einen Ort, an dem Physik, Biologie, Tanz, Handwerk und Technologie zusammenkommen. In Rotterdam findet diese Vision einen Raum, der ihre magnetische Kraft noch verstärkt.
Sculpting the Senses ist in der Kunsthal Rotterdam vom 27. September 2025 bis zum 1. März 2026 zu sehen, begleitet von einem englischsprachigen Katalog, der die Ausstellung und die Laufbahn einer Designerin beleuchtet, die das Experiment zur Lebensform erhoben hat.
Van Herpen begreift Mode als eine erweiterte Form von Wissen – einen Ort, an dem Physik, Biologie, Tanz, Handwerk und Technologie zusammenfinden.





