
Außerhalb der Linien | Die poetische Fotografie von Anne Nobels
Eines Tages sagte Anne Nobels’ Vater ganz unerwartet zu ihr: „Es tut mir so leid, was meine Generation der Welt angetan hat — und dass du nun mit den Konsequenzen leben musst.“ Dieser Satz hinterließ einen tiefen Eindruck bei ihr. Ehrlich gesagt, machte er ihr Angst. Anne war damals etwa 18 Jahre alt. Zwar war ihr schon bewusst, dass es um die Umwelt nicht gut stand, aber bis zu diesem Moment hatte es sie emotional nicht wirklich erreicht.
Die Idee zu ihrer Serie „Outside the lines“ entstand aus dem Bedürfnis, der positiven Seite ihrer Angststörung Raum zu geben. „Ich befand mich in einer dunklen Phase und wollte da raus. Also zwang ich mich, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Was hat sie mir gebracht? Durch meine Erkrankung waren meine Sinne geschärft — das war zwar schwer auszuhalten, aber es ließ mein Leben auch intensiver erscheinen. Alles war viel eindringlicher, und das beeinflusst bis heute, wie ich meine Umgebung wahrnehme.“

„Outside the lines“ erzählt eine Geschichte als Ganzes — nicht jedes einzelne Foto hat eine eigene Geschichte. Mit dieser Serie zeigt Anne Nobels, dass negative Dinge, die man nicht kontrollieren kann, auch positive Auswirkungen haben können, wenn man bereit ist, sie zu erkennen. „Was man auf den Bildern sieht, ist die positive Nebenwirkung meiner Störung. Sie lässt meine Umgebung buchstäblich wie eine andere Welt erscheinen.“

Für diese Serie fuhr Anne Nobels in einem Umkreis von 20 Kilometern rund um ihr Zuhause und suchte nach (größtenteils) unberührter Natur. Die meisten Bilder entstanden mit Selbstauslöser (10 Sekunden), einige wenige mit einer Fernbedienung. Beim Umherwandern hörte sie ganz bewusst auf ihr Bauchgefühl und ihre Emotionen – und versuchte, diese in Bilder zu übersetzen. Die Posen entstanden intuitiv. Viele von ihnen sind mit bestimmten Gefühlen verbunden.
Mit ihrer Serie möchte sie andere dazu inspirieren, zu erkennen: Das, was uns verletzlich macht, macht uns auch menschlich. Wer diesen Teil von sich selbst versteckt, unterdrückt einen großen Teil seines Wesens. „Diese Scham steht unserem Glück im Weg. Wir können nicht perfekt sein, wir können nicht alles erreichen, was wir wollen – und wir machen Fehler. Das ist in Ordnung. Wir alle haben Grenzen. Es ist gut, diese zu testen und auch mal zu scheitern. Genau daran wachsen wir.“


