Der Glamour und die Rauheit | Eine Analyse von Heroin Chic
Ist Heroin Chic zurück? Trotz des Aufschwungs der Body-Positivity-Bewegung gewinnen extrem schlanke Körper wieder an Beliebtheit. Die Rückkehr dieses kontroversen Trends hat Diskussionen über seine Auswirkungen auf das Körperbild und die psychische Gesundheit entfacht. Hier erfährst du alles, was du wissen musst.
URSPRÜNGE DES TRENDS
Heroin Chic entstand in den frühen 1990er Jahren. Der Trend zeichnet sich durch blasse Haut, dunkle Augenringe und ausgezehrte, androgyn wirkende Züge aus – Merkmale, die an Personen mit Drogenkonsum erinnern. Dieser Stil entwickelte sich parallel zu Veränderungen auf dem Heroinmarkt: Sinkende Preise, erhöhte Reinheit und der Umstieg auf Schnupfen (wodurch die Sorge vor AIDS reduziert wurde) führten zu einer Entstigmatisierung und letztlich zur Glorifizierung des Drogenkonsums.
In den 1990er Jahren hielt die Ästhetik des Heroin Chic Einzug in die Popkultur. Filme wie The Basketball Diaries, Trainspotting und Pulp Fiction zeigten Heroinkonsum, während Grunge-Musiker ihre Kämpfe mit der Droge offen thematisierten. Diese kulturellen Einflüsse verstärkten den Trend in den Mainstream-Medien und prägten das öffentliche Bewusstsein über die Droge und den damit verbundenen Lebensstil.
WER WAR HEROIN CHIC?
Ikonische Persönlichkeiten der Heroin-Chic-Bewegung sind unter anderem die Supermodels Kate Moss und Gia Carangi. Kate Moss’ dünnes, grunge-inspiriertes Erscheinungsbild in Kombination mit ihrem rebellischen Ruf machten sie zu einer Ikone des Heroin Chic. Kampagnen mit Calvin Klein, die ihre jungen, dünnen und blassen Züge hervorhoben, unterstrichen diese Ästhetik. Gia Carangi, die oft als eines der ersten Supermodels der Welt gilt, wird ebenfalls mit den Ursprüngen von Heroin Chic in Verbindung gebracht. Carangis Karriere und ihr Kampf mit Drogenmissbrauch offenbarten die dunkle Seite der Modeindustrie. Sie starb im Alter von nur 26 Jahren an AIDS-bedingten Komplikationen.
Der italienische Fotograf Davide Sorrenti wird für seine Rolle beim Aufstieg und Fall der Heroin-Chic-Bewegung in Erinnerung behalten. Sorrenti, der aus einer berühmten Familie von Modefotografen stammte, verkörperte mit seinem persönlichen Stil die Ästhetik des Heroin Chic. Der junge Fotograf erlangte früh Berühmtheit, kämpfte jedoch mit einer Heroinsucht und starb im Alter von nur 21 Jahren. Nach seinem Tod startete seine Mutter eine Kampagne gegen die Bewegung und setzte sich gegen die Glorifizierung von Drogensucht und minderjährigen Models ein. Bei seiner Beerdigung prägte die Redakteurin Ingrid Sischy den Begriff:
“Das ist Heroin, das ist nicht chic. Das muss aufhören, dieses Heroin Chic.” – Ingrid Sischy
Nach dem Tod von Davide Sorrenti, der fälschlicherweise als Heroin-Überdosis gemeldet wurde, kam der Trend von Heroin Chic abrupt zum Erliegen.
WARUM IST DER TREND PROBLEMATISCH?
Heroin Chic ist aus vielen Gründen ein problematischer Trend. Er verherrlicht Drogensucht und ungesunde Lebensstile, indem er sie als erstrebenswert und modisch darstellt. Angesichts des Einflusses der Modeindustrie auf die Gesellschaft kann dies zur Normalisierung gefährlicher Verhaltensweisen führen. Dieser negative Einfluss hinterlässt vor allem bei jungen Menschen Spuren, die in schwerer Krankheit oder sogar Tod enden können. Der Fokus des Trends auf extreme Dünnheit fördert zudem ein ungesundes Körperbild. Die Darstellung solcher Körper als erstrebenswert kann zu Körperwahrnehmungsstörungen, Essstörungen und anderen psychischen Problemen beitragen.
Darüber hinaus verharmlost Heroin Chic die Ernsthaftigkeit von Drogenmissbrauch. Das tatsächliche Leiden von Drogenabhängigen wird übersehen, wenn dieses Thema zu einem populären Trend wird. Die Unterstützung dieser Ästhetik durch die Modeindustrie spiegelt schädliche gesellschaftliche Standards wider und verstärkt sie, was den Trend besonders problematisch macht.
Viele Menschen haben auf die Gefahren des Trends hingewiesen. Im Jahr 1997 kritisierte der damalige US-Präsident Bill Clinton die Verherrlichung von Heroin und verurteilte dessen Darstellung als eine Form von Kunst. Auch andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie der Designer Calvin Klein, haben den Trend inzwischen abgelehnt.
IST HEROIN CHIC ZURÜCK?
Doch kehrt Heroin Chic wirklich zurück? Trotz des Wachstums der Body-Positivity-Bewegung gewinnen extrem dünne Körper wieder an Popularität. Im Jahr 2022 veröffentlichte die New York Post einen Artikel mit dem Titel „Bye-bye booty: Heroin chic is back“. Darin wird der Rückgang kurviger Figuren und das Wiederaufleben von schlanken Models thematisiert. Der Artikel erntete heftige Kritik von Aktivist:innen und Prominenten, die betonten, dass Körper keine Trends seien.
Trotz dieser Gegenreaktionen zeigt sich eine Wiederbelebung des Trends, insbesondere auf sozialen Medien wie TikTok. Der Hashtag #Heroinchic ist im Trend, und die sogenannte „Sad-Girl-Ästhetik“ erlebt einen Boom. Nutzer:innen bemerken eine zunehmende Anzahl an Posts und Inhalten, die extrem dünne Körper verherrlichen und an die Ära von Heroin Chic erinnern. Dies hat Debatten über die negativen Auswirkungen auf das Körperbild und die psychische Gesundheit der jungen Zielgruppe auf diesen Plattformen ausgelöst.
Das erneute Interesse an der Heroin-Chic-Ästhetik verdeutlicht die anhaltenden Herausforderungen in der Mode- und Schönheitsindustrie in Bezug auf Körperstandards und die Darstellung eines gesunden Körperbilds.
+ Highlight Image: ©Christopher Campbell via Unsplash