Urban Rewilding, Biomimikry und futuristische Mode | Interview mit Kiki Grammatopoulos
Die britische Designerin Kiki Grammatopoulos setzt sich mit ihren „Rewild the Run“-Sneakern für eine Demokratisierung der urbanen Wiederbegrünung ein. In diesem Interview spricht die junge Designerin über die Inspirationen hinter ihrer einzigartigen Kreation und die dahinterstehenden Absichten…
Ursprünglich als Abschlussprojekt von Kiki Grammatopoulos an der Central Saint Martins präsentiert, wurden die „Rewild The Run“-Sneaker auch auf der Mailänder Designwoche 2023 vorgestellt und erregten dort große Aufmerksamkeit. Und das aus gutem Grund.
Mit ihren dicken, elektrisch blauen Sohlen, die mit geschwungenen Stacheln durchzogen sind und die Hufe und das Fell von Tieren nachahmen, wirken Kikis Sneaker sowohl futuristisch als auch zeitgemäß. In den letzten Jahren hat sich das Design zunehmend auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet: Designer setzen verstärkt auf Biomimikry oder nutzen ethische, „grüne“ Materialien. Auch in der Architektur zeichnet sich ein Wandel ab: Stadtplaner und Architekten legen verstärkt Wert auf grüne Räume, die die verlorene Biodiversität zurückbringen und das durch die rasante Urbanisierung belastete Verhältnis zwischen Mensch und Natur wieder stärken sollen – ein Phänomen, das als Urban Rewilding bekannt ist.
Die „Rewild The Run“-Sneaker vereinen beide Trends – ein Design, das von Biomimikry inspiriert ist, und eine Mission, die den Menschen wieder mit der Natur verbindet. Diese Schuhe geben einen faszinierenden Ausblick darauf, wie Mode der Zukunft aussehen könnte.
Urban Rewilding spielt eine zentrale Rolle in der Gestaltung dieser Sneaker, denn Kiki verfolgt das Ziel, Wiederbegrünungsmaßnahmen für alle zugänglich zu machen. Ähnlich wie Stadtplaner, die sich für Dachgärten, grüne Korridore und Parks einsetzen, um die Biodiversität zu fördern, die Ökosysteme zu stärken und heimische Arten zu schützen, ermöglichen es die „Rewild The Run“-Sneaker, beim Laufen aktiv zur Wiederbegrünung beizutragen. Die Sohlen der Sneaker ahmen den Mechanismus der Epizoochorie nach – eine natürliche Form der Samenverbreitung durch Tiere.
Wir hatten kürzlich das Vergnügen, mit Kiki über ihre Designreise, die „Rewild The Run“-Sneaker und ihre Perspektive auf Urban Rewilding zu sprechen.
Ein zentrales Anliegen deiner „Rewild the Run“-Sneaker ist es, Menschen wieder stärker mit der Natur zu verbinden. Welche persönliche Beziehung hast du zur Natur?
Meine persönliche Verbindung zur Natur ist tief in meiner Kindheit und meiner griechischen Herkunft verwurzelt. Griechenland hat eine lange Tradition des Lebens im Einklang mit der Natur – sei es durch Landwirtschaft, den saisonalen Konsum von Lebensmitteln oder den respektvollen Umgang mit den natürlichen Zyklen der Erde.
Während der COVID-19-Pandemie wurde mir jedoch noch bewusster, wie essenziell unsere Verbindung zur Natur für unser Wohlbefinden ist. Die Lockdowns und Maßnahmen zur sozialen Distanzierung waren eine eindringliche Erinnerung daran, wie wichtig der Kontakt zur natürlichen Welt für uns alle ist.
Kannst du uns ein wenig über deinen Design-Werdegang erzählen? Wusstest du immer, dass du an nachhaltigen Designs arbeiten würdest?
Mein Designweg hat sich über die Jahre hinweg stark weiterentwickelt. Ich bin ursprünglich mit dem Wunsch aufgewachsen, Automobildesignerin zu werden. Doch während meines Industriedesign-Studiums an der Central Saint Martins verlagerte sich mein Fokus auf Produktdesign für Modeaccessoires.
Nach dem Studium arbeitete ich vier Jahre lang in der Branche – auch an einigen Nachhaltigkeitsprojekten. Doch mir wurde zunehmend klar, wie viel Abfall wir als Designer und die gesamte Industrie verursachen. Das führte mich zurück an die Central Saint Martins, wo ich einen Master in Material Futures absolvierte.
Dieses Studium hat mir ermöglicht, Design aus einer ökologischeren Perspektive neu zu denken. Auch wenn ich diesen Weg nicht von Anfang an geplant hatte, hat mich die wachsende Dringlichkeit nachhaltiger Praktiken genau dorthin geführt.
Welche Bedeutung hat Biomimikry für deine Designs? Ist dies ein Bereich, den du in zukünftigen Projekten weiter erforschen möchtest?
Bei der Entwicklung von „Rewild the Run“ habe ich mich darauf konzentriert, einen Mechanismus zu entwerfen, mit dem die Sneaker Samen aufnehmen und verbreiten können (Epizoochorie). Dazu habe ich zunächst Klettverschlüsse an meine eigenen Schuhe angebracht, um zu beobachten, welche Pflanzenreste ich während meiner Spaziergänge und Läufe aufsammele.
Dieses Experiment erinnerte mich daran, dass Klettverschluss selbst ein Beispiel für Biomimikry ist. Das weckte mein Interesse daran, Biomimikry als Designwerkzeug zu erforschen – insbesondere für umweltorientierte Projekte, aber auch als nützliches Tool für Designprozesse allgemein.
„Indem wir umweltbewusste Design- und Produktionsentscheidungen in unsere Produkte einfließen lassen, schaffen wir Artikel, die sowohl kommerziell erfolgreich als auch vorteilhaft für die Welt sind. Dieser Ansatz macht die Produkte nicht nur attraktiv, sondern fördert auch das Umweltbewusstsein und die Verantwortung der Verbraucher.“
Wie schaffst du es, Tragbarkeit mit Umweltbewusstsein in deinen Designs in Einklang zu bringen? Welchen Ansatz verfolgst du, um Produkte zu kreieren, die sowohl kommerziell erfolgreich als auch nachhaltig vorteilhaft für die Welt sind?
Die Balance zwischen Tragbarkeit und Umweltbewusstsein in meinen Designs erfordert ein Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und Ästhetik. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses ist es, eine Diskussion über die Nachhaltigkeit des Produkts zu initiieren – sei es durch die Verwendung von Biomaterialien oder durch die Thematisierung ökologischer Herausforderungen. Gleichzeitig ist es entscheidend, Produkte zu gestalten, die eine bestimmte Zielgruppe oder Community ansprechen, ohne sie abzuschrecken. Indem wir umweltbewusste Design- und Herstellungsentscheidungen in das Produkt integrieren, können wir Artikel schaffen, die sowohl kommerziell erfolgreich als auch nachhaltig vorteilhaft für die Welt sind. Dieser Ansatz macht die Produkte nicht nur attraktiv, sondern fördert auch das Umweltbewusstsein und die Verantwortung der Verbraucher.
Wie entstand das ursprüngliche Konzept für die „Rewild the Run“-Sneaker? Kannst du uns etwas über den Entwicklungsprozess des Designs erzählen?
Die Idee für die „Rewild the Run“-Sneaker entstand aus meiner Faszination für Schlüsselarten und deren Beitrag zur Renaturierung, insbesondere durch den Prozess der Epizoochorie. Epizoochorie bezeichnet die Verbreitung von Samen, die sich an Tierfellen oder -füßen anheften. Ich war von diesem natürlichen Mechanismus inspiriert und wollte ihn in eine tragbare Form übertragen.
Um das Design zu entwickeln, begann ich damit, Texturen und Muster zu erforschen, die in der Natur die Anhaftung von Samen begünstigen. Wie bereits erwähnt, spielte Klettverschluss – ein Beispiel für Biomimikry – eine wesentliche Rolle in diesem Prozess. Die Erfindung des Klettverschlusses basiert darauf, dass sich Kletten mit ihren winzigen Haken an der Kleidung von George de Mestral und am Fell seines Hundes verfingen. Basierend auf diesem Prinzip habe ich Texturen entworfen, die den Haftmechanismus von Pflanzen wie der Klette oder der Greifpflanze nachahmen.
Die spezielle Textur der „Rewild the Run“-Sneaker kombiniert Elemente dieser Pflanzen, um ein effektives, epizoochorie-inspiriertes Muster zu erzeugen. Die markante, plattformartige Außensohle wurde von den Hufen eines Bisons inspiriert – einer Schlüsselart mit großem Einfluss auf Renaturierungsprozesse. Dennoch wollte ich diese natürlichen Inspirationen mit einer digital geprägten, futuristischen Ästhetik verbinden, um ein einzigartiges und funktionales Design zu schaffen.
Gibt es Weiterentwicklungen oder neue Forschungen zu den Sneakern?
Ja, auf jeden Fall! Dieses Projekt begann als Masterarbeit, weshalb das Endergebnis naturgemäß eher konzeptionell ist. Ich forsche und entwickle derzeit daran, das Konzept von „Rewild the Run“ in eine kommerziell tragfähigere und alltagstauglichere Form zu bringen – dabei aber stets die ökologischen und materialbedingten Einschränkungen eines Nachhaltigkeitsprojekts zu berücksichtigen. Es bleibt also spannend – mehr kommt noch!
„Unser Bewusstsein für natürliche Systeme ist in Städten besonders fragil. Mode und Sport bieten eine einzigartige Möglichkeit, Menschen aktiv einzubeziehen. Indem wir jedem die Möglichkeit geben, einen Beitrag zu leisten, können wir eine tiefere Verbindung zur Natur in unseren Städten fördern und gemeinsam einen größeren positiven Einfluss auf die Umwelt ausüben.“
Lass uns über Urban Rewilding sprechen. Die meisten Menschen denken bei diesem Konzept an architektonische Gestaltung und sehen die Verantwortung dafür bei Politikern, Stadtplanern und ähnlichen Akteuren. Deine ‘Rewild the Run’ Sneaker durchbrechen diese Vorstellung, indem sie zeigen, dass jeder einen Beitrag zur Wiederbegrünung der Städte leisten kann. Wie würdest du Urban Rewilding definieren?
Urban Rewilding zielt per Definition darauf ab, natürliche Prozesse wiederherzustellen und die Natur in großem Maßstab in städtische Umgebungen zu integrieren. Es ist ermutigend, dass sich Stadtplaner und Entscheidungsträger zunehmend darauf konzentrieren, doch ich wollte diesen Prozess mit meinen Sneakern demokratisieren. Dieses Projekt bringt das Konzept auf eine kleinere, lokalere Ebene und unterstreicht unsere oft begrenzte Verbindung zur Natur in urbanen Räumen.
Unser Bewusstsein für natürliche Systeme ist in Städten besonders fragil, daher bietet Mode und Sport eine einzigartige Möglichkeit, Menschen aktiv einzubeziehen. Indem wir jedem die Chance geben, einen Beitrag zu leisten, können wir eine tiefere Verbindung zur Natur in unseren Städten fördern und gemeinsam einen größeren positiven Einfluss auf die Umwelt ausüben.
Du hast in London gelebt, als du deine ‘Rewild the Run’ Sneaker entworfen und gelauncht hast. Denkst du, dass die Stadt mit deiner Designphilosophie zum Urban Rewilding übereinstimmt? Gibt es Aspekte, die deine Herangehensweise unterstützen oder herausfordern?
Ja und nein. In London gibt es in letzter Zeit viele beeindruckende und teils radikale Urban Rewilding-Initiativen, wie die Einführung von Bibern in Greenford, West-London. Diese Entwicklungen sind inspirierend und passen definitiv zu meiner Designphilosophie. Die zahlreichen Parks und Grünflächen der Stadt machen London zu einem besonders geeigneten Ort für ‘Rewild the Run’, da die Schuhe die Saatgutverbreitung beim Laufen durch verschiedene Grünflächen erleichtern.
Allerdings hat London – wie viele urbane Umgebungen – erhebliche ökologische Schäden erlitten. Dies stellt zwar eine Herausforderung dar, eröffnet aber auch neue Möglichkeiten. Es ist wichtiger denn je, sich für grünere Städte einzusetzen, egal wo man lebt. Durch individuelle Beteiligung an Rewilding-Maßnahmen können wir gemeinsam dazu beitragen, unsere urbanen Ökosysteme wiederherzustellen und zu verbessern – sei es in London oder irgendwo anders auf der Welt.
Welche Rolle spielt die Aufklärung der Verbraucher über Urban Rewilding und ökologische Krisen bei der Planung und Gestaltung deiner Arbeit?
Eine sehr wichtige Rolle. Ich bin mir bewusst, dass es nicht unbedingt einen Bedarf an neuen Sneakern in der Welt gibt. Doch die Idee, ein Produkt wie Laufschuhe als Mittel zur aktiven Teilnahme an einer umfassenderen Rewilding-Bewegung zu nutzen, ist eine bedeutende Botschaft, die ich vermitteln möchte.
Indem ich dieses Konzept in ‘Rewild the Run’ integriere, hoffe ich, Verbraucher dazu zu inspirieren, anders über ihre Kaufentscheidungen nachzudenken. Es ist entscheidend, dass Menschen beim Kauf von Kleidung, Schuhen oder anderen Produkten die ökologische Gesamtbilanz und Umweltfolgen berücksichtigen. Mein Ziel ist es, ein Umdenken zu fördern, bei dem Verbraucher sich ihres Einflusses bewusster werden und motivierter sind, nachhaltige und ökologisch verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.
Studien haben gezeigt, dass Jacken und Socken unbewusst die Mechanismen der Epizoochorie nachahmen können. Planst du, die Designprinzipien, die du für deine ‘Rewild the Run’ Sneaker entwickelt hast, auch auf andere Bekleidungsstücke zu übertragen?
Tatsächlich freut es mich jedes Mal, wenn ich nach einem Spaziergang kleine Samen an meinen Socken oder meiner Jacke entdecke! Im Moment liegt mein Fokus jedoch weiterhin auf Schuhen und der Perfektionierung des Rewilding-Konzepts durch Footwear. Ich arbeite mit Experten und Designern zusammen, um diesen Ansatz so effektiv wie möglich zu gestalten. Dennoch haben die Prinzipien hinter den ‘Rewild the Run’ Sneakern definitiv das Potenzial, auch auf andere Kleidungsstücke übertragen zu werden. Wer weiß? Bleibt gespannt!