Wir haben uns mit einer getroffen, die die Antworten kennt. Oder zumindest viele Ideen hat. Francesca Romana Ronaldi ist UN-Expertin für nachhaltige Mode und die Leiterin des Master-Studiengangs „Fashion Direction: Brand & Business Management“ am Milano Fashion Institute. Sie forscht und lehrt seit 10 Jahren im Bereich nachhaltige Mode.
Francesca Romana Rinaldi
In 2030 ist Nachhaltigkeit der neue Standard. Es viel selbstverständlicher und einfacher, nachhaltige Mode zu kaufen – oder zu leihen. Mehr und mehr Leute sind interessiert an Nachhaltigkeit und fordern diese aktiv ein. Dementsprechend hat man als Kunde auch mehr Auswahl und das nicht nur bei vereinzelten Nischenanbietern oder in speziellen Nachhaltigkeits-Sektionen von Onlineshops. Vielmehr bieten eine Großzahl an (neuen) Händlern ausschließlich nachhaltige Produkte an und auch der Massenmarkt engagiert sich nachhaltig.
Für Modefirmen ist es essentiel, Ethik, Ästhetik und verantwortungsvolle Innovation zu integrieren. Das gilt für die gesamte Wertschöpfungskette, nicht nur für vereinzelte Tätigkeiten. Dafür müssen sie bereit sein, sich zu erneuern und Veränderungen einzugehen. Zu diesen Veränderungen gehören Bemühungen um mehr Transparenz und Rückverfolgbarkeit, die Umsetzung von Circular-Economy Prinzipien und kollaborativer Konsum. Modedesigner müssen zum Beispiel lernen so zu designen, dass Produkte nach Gebrauch leicht in ihre Bestandteile zerlegt und wieder in die Kreislaufwirtschaft eingeführt werden können. Eine wichtige Rolle bei diesen Veränderungen spielen auch Regierungen. Selbst wenn Unternehmen sich verändern wollen, ohne gesetzliche Regulierungen führt das höchstens zu ein paar Best Practices, nicht aber zu langfristigem Wandel. Deshalb müssen Regierungen Gesetze aufstellen und Anreize bieten, die Unternehmen dazu bewegen, verantwortungsbewusster zu handeln.
Modefirmen müssen genau feststellen können wann, wo und durch wen ihre Produkte produziert, transportiert, genutzt und entsorgt wurden. Das ist nicht ganz einfach, weil Lieferketten in der Modeindustrie stark segmentiert und globalisiert sind. Doch neue Technologien, insbesondere Blockchain und Artificial Intelligence, fungieren als Enabler, die Firmen dabei unterstützen können, ihre Lieferketten besser zu verstehen. Sie helfen, Daten zu lesen und bessere Vorhersagen zu treffen. Dies kann zum Beispiel Überproduktionen und unnötigen Abfall verhindern. Darüber hinaus müssen Firmen ihr Wissen auch mit anderen kommunizieren. Vor allem Kunden haben ein Anrecht darauf zu wissen, wann wo und durch wen ihre Kleidung produziert wurde. Diese Informationen sind 2030 möglicherweise auf den Labels zu finden, die ich zuvor genannt habe. Oder Kunden scannen QR-Codes mit ihren Smartphones, um mehr Infos zu bekommen.
Fashion Industry 2030 by Francesca Romana Rinaldi
Kollaborativer Konsum bedeutet, dass Mode zum Service wird. Es geht weniger um Besitzen als um Tauschen, Mieten und Wiederverkaufen. Insbesondere das Mieten von Kleidung wird in der Zukunft eine große Rolle spielen, vor allem in der Luxusmode. Heute gibt es schon vereinzelt Drittanbieter, die solche Dienstleistungen anbieten, und auch Marken wie Stella McCartney und Burberry fangen an, das Thema zu untersuchen. Damit Vermietung funktioniert, muss Mode langlebig und hochwertig sein, um möglichst lange genutzt werden zu können.
Das ist richtig. Auch als Kunden haben wir eine Verantwortung. Wir müssen lernen, bewusster und besser einzukaufen und unsere Kleidung besser zu pflegen, um sie möglichst lange am Leben zu halten. Ein Blick in die Vergangenheit kann uns dabei inspirieren: In den 50ern und 60ern war es völlig normal, sich gewissenhaft um seine Kleider zu kümmern. Qualität und Langlebigkeit waren untrennbar. Heute müssen wir dieses Verständnis wieder neu entwickeln. Wie wasche ich eigentlich richtig? Wie repariere ich Löcher? Das sind Dinge, die wir lernen müssen. Hier sehe ich die Verantwortung zur Aufklärung auch bei den Modemarken. Sie müssen Konsumenten besser informieren.
Absolut. Wir können nicht erwarten, dass Fast Fashion Brands oder andere günstigere Marken ihre Kunden auffordern werden, weniger zu kaufen oder auf Langlebigkeit zu achten. Das ist einfach nicht im Einklang mit ihrem Geschäftsmodell. Stattdessen sehe ich Luxusmarken hier ganz klar in der Verantwortung. Sie müssen dem Konsumenten erklären, was Qualität wirklich bedeutet. Wir brauchen eine neue Definition von Qualität - und Langlebigkeit gehört dabei unbedingt mit in die Gleichung.
Sie können zum Beispiel Pflegehinweise geben, kollaborativen Konsum ermöglichen oder Reparaturservices anbieten. Um nochmal auf Stella McCartney zurückzukommen; soweit ich weiß ist das die erste Luxusmarke, die Pflegehinweise für ihre Produkte herausgegeben hat. Den Clevercare-Guide und dazugehörige Video-Tutorials findet man auf Stella’s Website und YouTube. So etwas sollten alle Brands machen. Dem Produkt sollte insgesamt viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Dank Organisationen wie Fashion Revolution passiert das schon längst. Sie erhöhen den Druck auf Firmen und man merkt, dass diese darauf reagieren. Modefirmen sind heute viel vorsichtiger, hören aufmerksamer zu und interagieren mehr mit verschiedenen Interessengruppen. Das wird sich bis 2030 noch weiter steigern. Aber es braucht nicht unbedingt eine Organisation, um Druck auszuüben. Jeder einzelne von uns kann Brands mit dem Thema Nachhaltigkeit konfrontieren und zu mehr Verantwortung auffordern. Wir haben die Werkzeuge.
Auf @fashionindustry_2030 kann Francesca’s Arbeit an einer nachhaltigeren Zukunft weiter verfolgt werden. Hier veröffentlicht sie regelmäßig Interviews mit Experten und Meinungsführern zum Thema. Ihr neues Buch ist hier erhältlich.
+ Text: Lena Bäunker
Aufgewachsen in einer Kleinstadt in Norddeutschland, verschlug es Lena nach dem Abitur in die Welt. Nach Aufenthalten in Hamburg, Shanghai, Groningen und Mailand, arbeitet und studiert sie heute in Rotterdam. Lena engagiert sich für Fashion Revolution, hilft nachhaltigen Brands ihre Geschichten zu erzählen und schreibt über die Schnittstellen von Nachhaltigkeit, Kunst, Kultur und Wirtschaft.