Einen Unverwechselbaren Ausdruck Projizieren | Interview Mit Katharina Hinsberg

 

 

Ausgehend von ihrer charakteristischen Linienführung ist alles an der Künstlerin Katharina Hinsberg unverwechselbar. Wir haben sie gefragt, wie sie Kunst wahrnimmt, schafft und wie sie über den Tellerrand der Kunst hinausschaut.

 

 

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Auf die Frage "Wie entsteht die Kunst?" gibt es nie eine eindeutige Erklärung. - aber manchmal lässt sie sich mit einer anderen Frage erklären. Für die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Hinsberg war es scheinbar die Frage "Wie entsteht eine Linie genau?". Aus den etablierten Andeutungen einer Linie baute Hinsberg eine eigene, zeitgenössische Interpretation in der Kunst und schuf wegweisende Kunstwerke. Sie nahm die Scharnierpunkte von Konstruktion und Dekonstruktion auf, untersuchte die Situiertheit der Formen und gewann kürzlich einen Paper Positions Award, indem sie ihre innovative Vision in Form von Werken präsentierte. Luxiders hat sich mit Hinsberg darüber unterhalten, wie der Schaffensprozess der Künstlerin aussieht, wo sie die Nachhaltigkeit in ihrer Kunst ansiedelt und wie aktuelle Themen die Künstlergemeinschaft prägen. Mehr erfährst Du in diesem spannenden Interview.

(L) Luxiders

(KH) Katharina Hinsberg

 
 

L: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Paper Positions Award! Wie hat Ihre Geschichte als preisgekrönte Künstlerin, die auch Kunst unterrichtet, begonnen? Erinnern Sie sich an irgendwelche Faktoren in Ihrer Kindheit, die Sie dazu gebracht haben, Künstlerin zu werden?
KH: Ich wuchs in einem Umfeld auf, das mir viele Möglichkeiten und Freiheiten bot. Meine Eltern haben beide Kunst studiert, um Lehrer zu werden; selbst etwas zu machen, zu erfinden, zu bauen und zu improvisieren spielte eine große Rolle in meinem Leben. Ich glaube, dass so Konzepte und Zugänge zur 'Welt' entstehen, in denen man etwas gestalten kann und will, egal ob es sich um Kunst oder etwas anderes handelt. Deshalb sind die Fächer Kunst und Musik heute in den Schulen so unglaublich wichtig: Sie geben Raum für Erfindungen und Kreationen.

L: Wie wichtig ist die Verwendung von Papier als Ausgangsmaterial in Ihrer Kunst? Spielt der nachhaltige Wert dieses Elements bei Ihrer Wahl eine Rolle?
KH: Papier ist ein zugängliches, leichtes, nachhaltiges Material mit unglaublich vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Für mich ist ein Blatt Papier eine Membran, die sich zwischen mich und - einfach ausgedrückt - "etwas anderes" stellen kann. Wenn ich eine weiße Papierfläche vor mir habe, entsteht eine Lücke, eine Pause, eine Projektionsfläche, ein neuer Raum der Möglichkeiten. Es entsteht ein Davor und ein Dahinter. In meiner Arbeit interessiere ich mich dafür, wie Löcher und Schnitte im Papier Durchlässigkeit schaffen.

 
 

L: Sie verwandeln einige philosophische Elemente, wie z.B. die Frage nach dem Anfangs- und Endpunkt einer Linie, und bringen sie in Ihrer Kunst in Einklang. Sind diese philosophischen Details ein vorgegebener Subtext Ihrer Kunstwerke oder entwickeln sie sich ganz natürlich?
KH: Bei allen Dingen, die wir mit einer gewissen Hingabe, Konzentration und Sorgfalt tun, entstehen Gedankenräume. Sie verbinden und erweitern sich mit allem, was wir wahrnehmen, lesen oder tun.

 
 

 
 
 

L: Linien, Silhouetten, Konstruktion und Dekonstruktion... Aber vor allem Linien. Es ist leicht, Ihre Kunst an all diesen charakteristischen Details zu erkennen. Wie sind Sie dazu gekommen, einen so einzigartigen Stil zu entwickeln, und hatten Sie dabei irgendwelche Vorbilder?
KH: Die Dinge, mit denen wir uns intensiv beschäftigen, verdichten sich im Laufe der Zeit, wie eine Sprache, die sich über Jahrhunderte kollektiv bildet. Und doch kommen die Erfahrungen in jedem von uns als ein ganz individueller, unverwechselbarer Ausdruck zum Vorschein. In meiner Arbeit greife ich auf viele traditionelle Techniken zurück. Es gibt sicherlich Vorbilder, die für mich wichtig waren, aber nicht im Sinne eines Stils oder einer bestimmten Ausprägung, sondern durch das, was ich in ihnen lesen kann, was manchmal verstörend, überwältigend oder reizvoll sein kann.

L: Was ist die Botschaft Ihrer Kunst?
KH: Eine Botschaft entsteht zwischen dem Betrachter und dem Werk selbst, und ich bin nicht mehr daran beteiligt. Kunstwerke führen ihr eigenes Leben, sie hängen an den Wänden der unterschiedlichsten Menschen, die ihre eigenen Geschichten damit verbinden. Ein Freund erzählte mir, dass er ein Werk von mir durch ein offenes Fenster in Paris gesehen hat. Es hing dort einfach an der Wand. Das ist eine schöne Geschichte, und ich habe sofort eine Vorstellung von dem Bild, ohne zu wissen, um welches es sich handelt. Die Botschaft wird hier durch den Überbringer geschaffen.

 
 

L: Glauben Sie, dass sich das Zeitalter der sozialen Medien auf Ihren Ruf als bildender Künstler auswirkt? Wenn ja, können Sie sagen, ob dies negativ oder positiv ist? Was sind die Herausforderungen und Vorteile des digitalen Zeitalters für einen Künstler?
KH: Vor allem die sozialen Medien sind ein enormer Zeitfresser. Die Aufmerksamkeit, die wir suchen und erhalten, und die Aufmerksamkeit, die wir anderen geben, sind gleichzeitig da - aber dann fehlt sie in der Realität. Ich denke, dass sich hier möglicherweise unsere Werte verschieben; es geht nicht mehr um das Machen, Sehen und physische Wahrnehmen - sondern um das Erscheinen. Das wird die Produktion und Rezeption von Kunst zunehmend beeinflussen. Wie fast jeder bin auch ich ein winziger Teil dieses Prozesses.

L: Versuchen Sie, mit Ihrer Kunst eine gesellschaftliche Wirkung auszustrahlen? Können Sie das ein wenig erläutern?
KH: Kunst ist immer eine Art von Kommunikation. Aber soziale Wirksamkeit wäre mehr: Eine Verkettung von Ereignissen, die ich (indirekt) beeinflussen kann, aber nicht direkt. Meine Arbeit hingegen ist eher eine Interpretation. Das Unterlassen scheint mir eine immer wichtigere Wirksamkeit zu haben. Es entstehen Lücken und Brüche in Gewohnheiten, und es ist spannend zu sehen, welche Spielräume und Perspektiven sich ergeben, wenn wir manche Dinge nicht (mehr) oder weniger tun.

 
 
 
 

L: Ich frage mich, wie Katharina Hinsberg zu ihrer Kunst kommt. Normalerweise ist Inspiration ein Begriff, der Stereotyp mit Kunst in Verbindung gebracht wird. Müssen Sie durch Inspiration motiviert werden, um zu schaffen, oder haben Sie einen alternativen Schaffensprozess? Wenn es Inspiration ist, die Sie motiviert, können Sie sagen, was Sie normalerweise inspiriert?
KH: Meine Werke entstehen ganz langsam. Ich muss mir die Zeit nehmen, die ich dafür brauche. Wenn ich arbeite, kann ich nichts anderes tun. Das ist eine schöne konzentrierte Zeit. Und auch während ich Ihre Fragen beantworte, kann ich in dieser Zeit nichts anderes tun. Trotzdem schaue ich die Hälfte der Zeit aus dem Fenster und sehe kleine Moskitos in der Sonne tanzen.

L: Wie ist es, eine Frau in der Kunst zu sein? Was sind die geschlechtsspezifischen Erfahrungen, die Sie anerkennen?
KH: Meine Erfahrungen als Künstlerin, insbesondere als Kunststudentin, waren oft sehr schlecht. Abhängigkeiten und damit das Gefühl, nichts dagegen tun zu können, haben mich zeitweise gelähmt. Die Verhältnisse ändern sich langsam, es gibt inzwischen viel mehr erfolgreiche Künstlerinnen, aber immer noch zu wenige Professorinnen an Kunsthochschulen.

 
 
 
 
 
 

L: Was würden Sie Künstlern empfehlen, die gerade erst mit dem Kunstmachen begonnen haben?
KH: Neben der Intensität rate ich zu Reisen, Offenheit und Strategien der Selbstermächtigung: Rahmenbedingungen zu suchen oder zu schaffen, in denen man sich engagieren möchte, Kräfte zu bündeln und auf Menschen zuzugehen, die einem helfen können. Außerdem ist es hilfreich, sich möglichst viele Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen, die helfen, über die Runden zu kommen und sich selbstständig zu machen.

L: Haben Sie demnächst irgendwelche Kunstprojekte, und wenn ja, können Sie uns etwas darüber erzählen?
KH: Unter anderem bereite ich gerade eine gemeinsame Ausstellung mit Monika Grzymala in der Kunsthalle Mannheim vor. Es ist für uns beide interessant, unsere eigenen Ansätze in Bezug auf neue Räume weiterzuentwickeln, noch spannender ist es, dies jetzt mit gegenseitigem Bezug zu tun.

 
 
 
 

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All Images: © Katharina Hinsberg

Interview:
Tolga Rahmalaroglu
Luxiders Magazine Contributor