Sind Naturtextilien die nachhaltigste Wahl?

 

 

Theoretisch sind natürliche Stoffe besser für den Planeten und nachhaltiger als die synthetischen Alternativen. Spezielle Interpretationen von Stoffen führen jedoch zu einer weiteren Vielfalt.

 

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Verbraucher:innen neigen zu der Annahme, dass natürlich hergestellte oder biologisch abbaubare Materialien besser für den Planeten und nachhaltiger in der Verwendung sind. Obwohl dies keine falsche Denkweise ist, kann es in bestimmten Bereichen anders sein: Ein sehr wichtiges Beispiel ist die Auswahl von Stoffen in der Modeindustrie. Da jede Art von Natur- und Synthetikstoffen für sich genommen positive und negative Aspekte in Bezug auf die Nachhaltigkeit aufweist, könnte es die bewusstere Methode sein, die Stoffe einzeln zu bewerten, um deinen Verbrauch zu interpretieren.

SIND NATÜRLICHE STOFFE DIE NACHHALTIGSTE WAHL?

Angeführt von Baumwolle, Wolle und Seide, gehören auch Pelz, Kaschmir und Leder zu den Naturstoffen. Diese Stoffe zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie biologisch abbaubar sind, aber eine der gängigen Praktiken, die vor allem bei Fast-Fashion-Marken zu beobachten sind, ist die Vermischung dieser Materialien mit synthetischen Stoffen. Dieser Mischungsprozess verhindert zwar, dass sich die natürlichen Stoffe zersetzen, macht aber auch die Möglichkeit des Recyclings der synthetischen Materialien zunichte. Hier liegt die größte Stärke von Naturtextilien, die eine wichtige Grenze zum Schutz ihres Vorteils für den Planeten darstellt. Natürliche Stoffe gelten als gesundheitsfördernd und angenehm zu tragen, da sie atmungsaktiv und hypoallergen sind.

Die Rückgabe dieser Materialien an die Umwelt ist ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Allerdings stellen sich oft Fragen zum Anbau und zur Herstellung dieser natürlichen Stoffe. Die Beraterin für nachhaltige Mode, Alice Wilby, hebt in ihrem Artikel für den Independent den enormen Wasserverbrauch von Baumwolle hervor - ein einziges Paar Jeans verbraucht zwischen 10.000 und 20.000 Gallonen Wasser. Der Artikel geht weiter auf den Einsatz von Chemikalien bei der Baumwollproduktion ein, der die Umwelt und die Wasserressourcen besonders schädigt. In diesem Fall taucht in der Branche biologisch angebaute Baumwolle auf, die mit weniger Wasserverbrauch angebaut wird - allerdings sind diese Produkte nicht so leicht zu erreichen und nicht immer für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich. Andererseits klingen Wolle und Leder besser zu konsumieren, da sie leichter biologisch abbaubar sind, aber der enorme Methanausstoß bei ihrer Produktion wirft wieder die Frage auf, ob sie "besser für die Umwelt" sind, wenn man bedenkt, dass Methan mehr als zwanzigmal stärker ist als Treibhausgasemissionen. Laut Balmond für Independent werden diese Stoffe oft unter Verwendung giftiger Chemikalien hergestellt, um sie zu konservieren.

In einer Zeit, in der über die Umweltverträglichkeit von Naturstoffen diskutiert wird, stoßen Kaschmir und Seide auf viel mehr Gegner. Kaschmir, einer der luxuriösesten Stoffe in der Branche, wird bevorzugt, weil er bequem, leicht und im Allgemeinen hochwertig ist. Obwohl er wie die anderen natürlichen Alternativen biologisch abbaubar ist, stößt die Geschichte hinter seiner Herstellung auf großen Unmut. Kaschmir stammt ursprünglich aus der Region Kaschmir zwischen Indien und Pakistan und wird aus dem Haar der dortigen Ziegen gewonnen. Das passt zwar schon nicht zum veganen Lebensstil, hat aber mehr mit Grausamkeit zu tun. Zwar werden die Ziegen nicht getötet, um ihr Haar zu kämmen, doch werden sie laut PETA in unnatürliche Positionen gedrängt. Die scharfen Kämme können zu verschiedenen Schnittverletzungen und gesundheitlichen Problemen führen und einige werden nicht tierärztlich versorgt. Es kommt hier aber immer auf die lokalen Bauern an. Kaschmirziegen, die mit Hämmern getötet werden, wenn sie den Erzeugern nicht mehr nützen, haben ebenfalls einen großen Einfluss auf die Flora: Laut PETA müssen sie täglich 10 % ihres Körpergewichts an Nahrung zu sich nehmen, und diese Nahrung sind die Wurzeln von Gräsern. Wenn man bedenkt, dass eine Pflanze nicht mehr nachwachsen kann, nachdem ihre Wurzel von den Ziegen gefressen wurde, beweist die Wüstenbildung in der Mongolei mit einer Rate von 90 %, dass die Kaschmirproduktion nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Flora grausam ist. Auch wenn die ethische Kaschmirproduktion in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund rückt, weil die Ziegen ihre Wolle während der Temperaturschwankungen abwerfen, ist das Kämmen der Ziegen in dieser Jahreszeit sehr zeitaufwändig, und die Löhne in den Regionen, in denen am meisten Kaschmir produziert wird, sind ungerecht: China und die Mongolei. 

 
 
 
 
 

Ein weiterer umstrittener Naturstoff ist Seide. Ähnlich wie bei Kaschmir hat die Geschichte der Seide viel mit Grausamkeit und Ausbeutung von Arbeitskräften zu tun, zusätzlich zu den Umweltkosten. Während der Higg-Index Polyester als die am wenigsten klimaschädliche der Seidenalternativen einstuft, gibt EcoCult an, dass die Seidenfarmen als problematisch eingestuft werden, weil sie eine bestimmte Luftfeuchtigkeit und Temperatur von 65 Grad aufrechterhalten müssen. Diese Aufrechterhaltung kostet viel Energie und wirkt sich negativ auf das Klima aus. Das Problem der Grausamkeit liegt in den Maulbeerseidenraupen begründet, die während ihrer Metamorphose Kokons bilden. Bevor sie aus dem Kokon ausbrechen, werden die darin befindlichen Seidenraupen durch "Ersticken" - meist durch Kochen oder Dämpfen - getötet. Bei diesem Verfahren werden etwa 2.500 Seidenraupen benötigt, um ein Pfund Seide zu produzieren. PETA hat mehrere Kampagnen zur Bekämpfung der Seide durchgeführt, doch es werden auch Stimmen der Gegner laut, die behaupten, dass es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass die Seidenraupen Schmerzen empfinden, und dass der Prozess der Seidenherstellung umweltfreundlich ist, da Nebenprodukte wie Maulbeerfrüchte und Holz verwendet werden, die biologisch abgebaut werden können und dem Ökosystem zugute kommen. Das Problem mit der Arbeit stellt sich in zweierlei Hinsicht: Da Indien und Usbekistan die größten Seidenproduzenten sind, stellt Kinderarbeit in der Seidenindustrie dieser Länder ein ernstes Problem dar. Das zweite Problem ist die Ungleichheit der Geschlechter in der Branche. Die im Münchener Personal RePEc Archive veröffentlichte Studie "A Situational Analysis of Women Workers in Sericulture of West Bengal” (Situationsanalyse der Arbeiterinnen in der Seidenindustrie Westbengalens) zeigt, dass Frauen aufgrund von Vorurteilen weniger eingestellt werden als Männer. In der Seidenindustrie sind unterschiedliche Arten der Bezahlung von Frauen zu beobachten: Frauen werden oft in Naturalien oder Bar- und Naturalienlöhnen bezahlt, während Männer ausschließlich Bargeld erhalten. Hier verliert die Tatsache, dass natürliche Stoffe gut für den Planeten und die Gesellschaft sind, ihren Status als "Fakt" und wird durch die sozioökonomischen und umweltverantwortlichen Katalysatoren in Frage gestellt.

Somit ist die Frage "Sind synthetische Stoffe besser für unseren Planeten und die Gesellschaft?" durchaus gerechtfertigt, aber auch sie hat auch eine Menge Konsequenzen. Das beliebteste synthetische Gewebe, Polyester, macht 55 Prozent der Modeindustrie aus, gefolgt von Nylon und Acryl. Da es sich bei all diesen Stoffen um petrochemische Materialien handelt, wird die Abhängigkeit der Modeindustrie von der Gewinnung fossiler Brennstoffe von verschiedenen Experten als besorgniserregend bezeichnet. Synthetische Stoffe sind jedoch recycelbar, erschwinglich und widerstandsfähiger gegen Wasser und Flecken. In Anbetracht der Tatsache, dass die in ihren Produkten verwendeten Chemikalien dem Planeten ernsthaften Schaden zufügen, werden sie zwar verteufelt, können aber dennoch gelegentlich bessere Lösungen bieten. Im Allgemeinen wird die Verwendung von recycelten synthetischen Stoffen (die manchmal weniger klimaschädlich sind) empfohlen, aber es ist wichtig, daran zu denken, dass das Recycling für viele Marken immer noch kein großes Thema ist.

 
 

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© Vitalii Khodzinskyi via Unsplash

Words:

Tolga Rahmalaroglu
Luxiders Magazine Contributor